Wie kam es dazu?

Einleitend muss gesagt werden, dass die Bundeswehr sehr eng mit dem Volksbund für Kriegsgräberfürsorge e.V. zusammen arbeitet. So finden jedes Jahr unzählige Einsätze zur Wahrung und Instandhaltung von Gedenkstätten auf der ganzen Welt statt. Die Gebiete erstrecken sich über Russland, das Baltikum, Polen und reichen sogar bis Afrika. Zumeist sind diese Orte ehemalige Kriegsschauplätze.

Da die Marinetechnikschule sich bis dahin auch an solchen Einsätzen beteiligte, bekam sie diesmal erstmalig das Einsatzland Litauen. Die stete Erfordernis Personal für solche Massnahmen zu stellen, zieht jährlich auch eine allgemeine Anfrage zwecks Teilnahme statt. Somit hatte auch ich die Gelegenheit an solch einem Einsatz vom 16. bis zum 30.Mai 2004 teilzunehmen.



Auf geht's!

Nach einigen Schwierigkeiten konnte unser 9-köpfiges Team von der Marinetechnikschule in Parow zum Fährhafen nach Sassnitz aufbrechen. Mit zwei Dienstfahrzeugen, schwer beladen mit Ausrüstung, sollten wir von dort aus nach Klaipeda (Litauen) übersetzen.

Nach dem Einchecken am Terminal, befuhren wir auch schon zwei Stunden später die Fähre "Klaipeda."



Auf See...

Nachdem nun unsere Autos auf dem Fahrzeugdeck fest verzurrt waren, begab sich unser Team zum "Wachtmeister" dieses Schiffes. Dort bekamen wir unsere Kammern zugewiesen und richteten uns für die 20-stündige Fahrt ein.

Als das Schiff Fahrt aufnahm, beschlossen wir uns das Ablegemanöver an Oberdeck anzuschauen. Mit seemännischem Sachverstand wurde jede einzelne Handlung des Leinenpersonals kritisch beobachtet und ausgewertet. Da es nun nichts mehr zu "überwachen" gab, fröhnten alle ein wenig den Impressionen, die sich durch den Blick vom Schiff auf dieInsel Rügen boten...

Irgendwann war dann auch nur noch Wasser zu sehen. Links, rechts, vorn und hinten...oben war Himmel. Eine Lautsprecherdurchsage unterbrach dann irgendwann die Seefahrerromantik. Es war zu hören, dass das Abendessen zur Einnahme bereit stand...Also Klaaaaaaarmachen zum Backen und Banken! In der Messe standen dann zwei Gerichte zur Auswahl, die ein starkes Sättigungsgefühl bei uns hinterliessen.

Nach dem Genuss vom Abendprogramm in der Messe (russische Filme, laute Musik und einem Kartenspiel namens Phase 4) entschlossen wir uns den Tag an Oberdeck ausklingen zu lassen. Nach einem traditionellen Mittelwächter begaben sich dann auch alle auf Koje, da der nächste Tag anstrengend zu sein schien.



Ankunft in Litauen

Bei strahlendem Sonnenschein begann der nächste Tag. Morgenhygiene, Frühstück, Sonnenbaden. Irgendwann war auch wieder Land in Sicht. Die Fähre steuerte zielstrebig auf die Hafeneinfahrt von Klaipeda zu. Unruhe und Wiedersehensfreude machte sich bei den vielen anderen Passagieren breit. Nach dem Passieren der Molenköpfe von Klaipeda, sollte es nur noch etwa eine halbe Stunde bis zum Anlegen dauern.

So...jetzt nur noch anlegen und dann wieder fester Boden unter den Füßen. Nach der gesamten Abfertigung durch Zoll und Grenzschutz, die uns durch ein Empfangskomitee der litauischen Streitkräfte erleichtert wurde, begann unser Konvoi die Reise zum "Draguner Bataillon." Dieses befand sich auch in Klaipeda. Nun sollte man denken, dass wir nach 5 Minuten da waren - Irrtum! Dadurch, dass Klaipeda eine sehr langgezogene Stadt ist und sich am Hafen entlang zieht, waren wir noch etwa 45 Minuten unterwegs.

Unter dem traditionellen Leitspruch "Wir siegen oder wir sterben!" wurden wir freundlich durch den Kommandeur Major Milasius und den Major Slivinskas aufgenommen.

Nach dem Beziehen unserer Unterkünfte konnten wir erste Eindrücke über die litauischen Streitkräfte sammeln. Eine sehr saubere Kaserne und vorbildliche Soldaten vermittelten uns das Gefühl, dass wir hier sehr gut aufgehoben sind.



Der Friedhof in Macikai

Am nächsten Tag fuhren wir zu unserem eigentlichen Einsatzort. In der kleinen Siedlung Macikai war ein Friedhof, den es durch uns zu bearbeiten galt. Dieser Friedhof ist die auch die letzte Ruhestätte von zivilen Personen. Die anderen dort begrabenen Menschen sind Insassen des ehemaligen "STALAG Luft", einem Gefangenenlager der Deutschen aus dem 2. Weltkrieg. Später diente dieses Lager auch Stalin, der dort auch Gefangene hielt. Bereits einige Jahre zuvor hatten an anderer Stelle die niederländischen Streitkräfte einen Kriegsgräbereinsatz durchgeführt. Beim genaueren Betrachten unseres Bereiches stellten wir fest, dass wir ein Massengrab zu bearbeiten hatten.

Zu unserer Unterstützung bekamen wir eine Archäologin und einen Bauunternehmer zur Verfügung gestellt. Beide standen uns mit Material, Rat und Tat zur Seite. Nach einer ausführlichen Planung, gemanaget durch Roland unseren Projektleiter, machten wir uns dann frisch nas Werk. Zunächst wurde das eigentliche Grab abgesteckt. Dies sollte uns helfen die kleinen Erdwälle von damals zu rekonstruieren.

Mittlerweile sah man, dass hier ein grosses Vorhaben stattfinden sollte. Allein die Geräusche von Burkhard's Motorsense drangen durch Mark und Bein. Andere wiederum sahen sich mit einem Spaten ganz gut ausgestattet und versuchten das stark durchwurzelte Terrain umzugraben...

Nachdem die Vorbereitungen nun abgeschlossen waren, wurde uns durch Kostas, dem Bauunternehmer, eine Motorfräse zur Verfügung gestellt. Diese Maschine sollte die tiefgewachsenen und stark verholzten Graswurzeln aus dem Boden reissen, so, dass wir neue Erde auftragen konnten.

Parallel dazu machten sich Thorsten und Ingo bei, einen Graben für das grosse Holzkreuz auszuheben. Nach professionellen Vermessungsarbeiten war es nun so weit...Die ersten Spatenstiche erfolgten. Später konnte dann auch die Schalung für das Kreuzfundament errichtet werden.

Als die Motorfräse mit ihren Arbeiten durch war, ging es daran neue Erde über das Massengrab zu bringen. Ein LKW kippte den Mutterboden am Rand des Friedhofs ab und wir mussten ihn "nur noch" per Schubkarre auf unser Objekt verbringen. Arunas, ein litauischer Feldwebel, stand uns mit seiner Manpower und seinem Humor zur Seite.

Schliesslich nahm alles Gestalt an und die ersten Fortschritte waren zu sehen. Doch wer viel arbeitet muss auch mal etwas essen. Dazu hatten wir ein Grillen organisiert. Dies war, nebst der uns zur Verfügung gestellten Truppenverpflegung, eine schöne Abwechslung. Leckeres Schweinefleisch am Spiess...und dann auch noch vom Grill - herrlich!

Frisch gestärkt konnten wir nun unsere Arbeiten wieder aufnehmen. Es wurde damit begonnen, die Fundamente für das Holzkreuz und die zwei Steinkreuzgruppen zu gießen. Roland und ich hingegen, waren in der Stadt unterwegs. Wir machten schon die erforderlichen Bestellungen, die für die Übergabezeremonie benötigt wurden...Grabschmuck etc.



Eine Woche geschafft...It's Weekend!

Nachdem wir nun die erste Woche hinter uns hatten, ging es daran etwas zu entspannen. Roland hatte ein schönes Programm ausgearbeitet, welches uns Land und Leute näher brachte. Da wir Klaipeda bereits an den Feierabenden näher kennengelernt haben, wollten wir diesmal über die Stadtgrenzen hinaus erkunden. Zusammen mit Major Slivinskas verschlug es uns in einen Nationalpark. Dort besichtigten wir eine ehemalige Langstreckenraketenbasis der ehemaligen sowjetischen Streitkräfte. Es war ein beeindruckendes Erlebnis zu sehen, wie damals aus einem so friedlichen Landstrich wie "Plokstine" eine Bedrohung für ganz Europa ausging.

Gesichert durch mehrere Hochspannungszäune und unzählige Wachen waren hier vier Nuklearraketen vom Typ SS20 stationiert. Mit ihrer Gesamthöhe von über 20 Metern waren drei davon dauerhaft auf feste Ziele in Westeuropa ausgerichtet. Die vierte Rakete diente zur "Reserve" und konnte flexibel eingesetzt werden. Vom Auslösen eines Alarms bis zum möglichen Abschuss hätte es wohl keine halbe Stunde gedauert, obwohl die Sprengköpfe erst von einem nahegelegenen Depot hertransportiert werden mussten.

Uns bot sich die Möglichkeit die unterirdische Basis zu besichtigen. Vom oben abgebildeten Raketenschacht 2 über den Generatorraum zur eigenen Stromerzeugung bis hin zur Kommandozentrale.

Leider ist von den einzelnen Bereichen nicht mehr viel zu sehen. Beim Abzug der sowjetischen Truppen wurde vieles ausgeschlachtet oder zerstört. So wie die Truppen kamen, sind sie auch wieder abgezogen...ohne, dass ein einziger Abschuss durchgeführt wurde...



Unser nächstes Etappenziel war Palanga...

Dies ist ein kleiner Ferien- und Kurort an der litauischen Ostseeküste. Sozusagen das "Sylt von Litauen." In den Sommermonaten ist Palanga ein beliebtes Urlaubsziel nicht nur für Litauer. Live- Konzerte, buntes Treiben auf den Strassen und ein ewig langer Strand ziehen Jahr für Jahr die Leute an.

Für "klassische" Unterhaltung ist ebenfalls gesorgt. Mitten in dieser schönen Stadt befindet sich auch ein grosser Park mit einigen Kunstwerken. Das dort befindliche Bernsteinmuseum ist ebenfalls einen Abstecher wert. Dort kann man vieles über den Ursprung und die unterschiedlichsten Variationen dieses besonderen Steins erfahren.

Wem das etwas zu aufregend ist, kann natürlich am Strand entspannen...so wie Burkhard.

Den Abend dieses Tages liessen wir dann ganz entspannt in einer Art "Restaurant in der freien Natur" namens "Pas Juozapa" ausklingen. Eine exellente Küche, Bier aus dem eigenen Hause und ein unbeschreibliches Flair half uns dabei "Fünf mal gerade sein zu lassen."

Am Sonntag machte unser Trupp einen Ausflug zur Kurischen Nehrung. Dies ist eine Halbinsel, die sich Russland und Litauen teilen. Von Klaipeda aus dauert es etwa 10 Minuten mit der Fähre. Nebst des Meereskundemuseums und des Delfinariums kann man auf dieser Halbinsel unter anderem die Wanderdünen besichtigen. Besonderes Interesse weckte auch der "Hexenberg - Raganu Kalnas."

Dies ist ein Berg mitten im Wald, wo zur Walpurgisnacht ein buntes Treiben herrscht. Aber auch ausserhalb solcher Termine ist dieser stets ein lohnendes Ziel. Allein um nur die Schnitzkünste an den Holzfiguren zu betrachten.



Nun aber wieder an die Arbeit!

Nach einem schönen Wochenende geht es nun weiter mit den Arbeiten in Macikai. Wir hatten letzte Woche gut vorgelegt, so, dass wir nur noch die Kreuze aufstellen, Rasen säen und etwas aufrämen mussten. Der Beton für die Fundamente war bereits getrocknet. Nun ging es daran, das extrem grosse Holzkreuz aufzurichten und zu verankern. Mit vereinten Kräften und einem ausgeklügelten Tampensystem waren wir nach einiger Zeit fertig. Der Aufwand hatte sich gelohnt...

Danach wurde der Boden geebnet und mittels einer Walze verdichtet. Nun konnte dem neuen Rasen nichts mehr im Wege stehen. Ein anderes Team befasste sich mit der Errichtung von zwei Kreuzgruppen, jeweils drei kleinere Steinkreuze. So vergingen auch die letzten Tage unserer Arbeiten. Nach Abschluss der Aufräumarbeiten setzten wir auch noch unser eigenes Denkmal, welches an dieses Rabeitseinsatz erinnern sollte.

Nach der Einweihung unseres Steins bereiteten wir noch alles für das bevorstehende Übergabezeremoniell vor. Letzte Feinschliffe wurden gemacht und und schon die ersten Pläne zur Aufstellung bei der Feier wurden geschmiedet. Mit guter Hoffnung und einem letzten Blick auf das von uns Geleistete verliessen wir dann anschliessend den Friedhof und kehrten zurück zum Bataillon. Dort wurden wir schon von der Führung erwartet, um eine Veranstaltung geselliger Art durchzuführen. Nach einem Bericht von Roland über unsere erfolgreichen Arbeiten, richtete der Kommandeur Major Milasius noch herzliche Dankesworte an uns.

Beim Besuch des kaserneneigenen Museums, hatten wir sogar die Ehre, uns im "Buch des Bataillons" zu verewigen. In beiden Sprachen richteteten wir dabei unseren Dank an das Bataillon für dessen Unterstützung und die herzliche Aufnahme unseres Teams.

Anschliessend liessen wir den Abend zusammen mit unseren litauischen Gastgebern ausklingen. Dabei überreichten sich beide Streitkräfte gegenseitig Gastgeschenke.



Die feierliche Übergabe in Macikai

Da unser Arbeitseinsatz in Macikai bei der Bevölkerung nicht ganz unbemerkt blieb, konnten wir uns am Tag der Übergabe einer hohen Besucherzahl erfreuen. Natürlich kamen auch viele geladene Gäste. Unter andrem der Bürgermeister von Silute, der deutsche Militäattache, der Kanzler der Deutschen Botschaft und viele Abgesandte von unterschiedlichsten Instanzen und Presse. Zur ehrenhaften Unterstreichung dieses Ereignisses, reisten ein Musikkorps und ein Ehrenzug an.

Beim Zeremoniell hielten Roland, der Kommandeur, der Kanzler, der Landrat und einige andere Personen eine Rede. Mit ihren Worten mahnten und erinnerten sie an die schrecklichen Ereignisse, die hier und in vielen Teilen der Welt passierten.

Um die unzähligen Opfer zu ehren, wurden Kränze niedergelegt. Das Zusammenspiel von Ehrenformation und Musikkorps verlieh der dortigen Atmosphäre nochmals einen besonderen Charakter.

Mit Salutschüssen wurde das feierliche Zeremoniell beendet. Nun hatten alle anderen Gäste Gelegenheit, ihre mitgebrachten Blumen am Kreuz abzulegen. Traditionell wurde diese Veranstatltung durch die litauischen Soldaten mit dem "Soldatenbrei" (traditionelles Gericht - bei uns Erbseneintopf) beendet.



Heimreise

Am nächsten Tag traten wir die Heimreise an. Unser Weg führte uns dabei noch an einem riesigen Einkaufscenter vorbei, wo jeder nochmals die Gelegenheit hatte, Geschenke für die Lieben zu Hause einzukaufen. Von dort aus begaben wir uns dann auch wieder zum Fährterminal, wo wir fast Ingo verloren hätten. Er wollte noch etwas in Litauen bleiben und meinte sich an einem Geländer anketten zu müssen. Zum Glück hatte er den Schlüssel noch nicht im Wasser versenkt. Somit konnten wir ihn losketten und in unser Fahrzeug zerren, um mit der Fähre die eher unspektakuläre Heimreise anzutreten...